Scheidungspropheten
Sonntag, 14. Februar 2016
ZENTRALSCHWEIZ AM SONNTAG
Wie viele Jahre wird es halten?
PAARE Wie lange eine Beziehung hält, lässt sich offenbar mathematisch errechnen. Wissenschaftler
entwickelten eine Eheformel, die allerdings ziemlich kompliziert ist.
Christian Satorius
Wer schon bei der Hochzeit gerne wissen möchte, ob die Partnerschaft ewig halten wird oder schon nach einigen Jahren die
Scheidung ins Haus steht, der sollte den Oxford-Professor James Murray und seinen Kollegen John Gottman von der
Universität Washington in Seattle befragen. Der schottische Mathematiker und der US-amerikanische Psychologe haben
nämlich zusammen eine Formel entwickelt, mit der sich berechnen lässt, ob die Ehe eines Tages geschieden wird oder nicht –
mit einer Vorhersagegenauigkeit von 94 Prozent.
700 frisch Vermählte im Labor
«Es klingt verrückt, und ich war selber überrascht», sagt Murray, «dass menschliche Emotionen sich in eine mathematische
Formel übersetzen lassen, und damit dann Vorhersagen getroffen werden können». Die beiden Wissenschaftler behaupten das
natürlich nicht einfach nur so, sie können es auch belegen, und zwar mit einer Langzeitstudie, die sie 1992 begonnen haben.
Damals holten sie sich ganze 700 frisch vermählte Paare ins Labor der Universität Washington in Seattle und unterzogen sie
einem Beziehungsstresstest.
Beide Ehepartner mussten sich dabei an einen Tisch setzen und 15 Minuten lang über heikle Themen miteinander diskutieren,
wie Schwiegereltern, Geld oder auch gemeinsame Zukunftsplanung. Diese oft schnell zum Streitgespräch ausartenden
Unterhaltungen wurden von den Forschern mit Filmkameras festgehalten und von physiologischen Untersuchungen begleitet,
bei denen der Blutdruck oder auch die Schweissproduktion gemessen wurde. Ein Team von Psychologen bewertete daraufhin
Gesichtsausdruck und Körpersprache jedes einzelnen Probanden mit einem speziellen Punktesystem.
Gleichgültigkeit gibt Minuspunkte
So gab es etwa für offen gezeigte Gleichgültigkeit vier Minuspunkte, Herumjammern wurde mit einem Minuspunkt bewertet,
ebenso wie Zorn und Wut oder auch Dominanzgebaren dem Partner gegenüber, wohingegen aufrichtiges Interesse zwei
Pluspunkte einbrachte und Zuneigung oder Humor sogar vier. Am Ende stand so ausreichend Material zur Verfügung, das die
Forscher in ihre Eheformel eingeben konnten.
Die Ergebnisse der komplexen Berechnungen wurden dann in der Folge jedes Jahr überprüft. Die Forscher schauten also, ob
die Paare noch verheiratet waren oder sich inzwischen getrennt hatten, und vor allem, ob ihre Prognosen korrekt waren. «In den
vielen Jahren hat sich gezeigt», sagt die beteiligte Mathematikerin Kirsten Swanson, «dass diejenigen Paare sich nicht scheiden
liessen, die ein durchschnittliches Punkteverhältnis von 5 zu 1 hatten, also auf einen Minuspunkt im Schnitt fünf Pluspunkte
folgten.» Mehr noch: «Paare, die sich scheiden liessen, wiesen eine Punkteverteilung von 0,8 zu 1 auf», ergänzt Swanson.
Noch etwas fanden die Forscher heraus: Diejenigen Paare, die stark von diesem idealen Punkteverhältnis von 5:1 abwichen,
liessen sich im Schnitt nach fünf Jahren scheiden, Paare mit nur leichten Abweichungen erst nach 16 Jahren. Die Langzeitstudie
brachte aber auch ans Licht, was diese Beziehungen tötete. «Es sind Entfremdung, Gleichgültigkeit beziehungsweise
Verachtung», sagt der Psychologe John Gottman, «und nicht unbedingt der Streit, wie man vielleicht vermuten könnte. Wer
streitet, aber zum Ausgleich viel lacht, kann durchaus eine stabile Ehe führen.» Wenn man sich hingegen emotional
voneinander entfernt und nichts mehr zu sagen hat, dann steht die Ehe unter keinem guten Stern, so Gottman: «Man erkennt
diese Paare im Restaurant, wenn sie sich stumm gegenübersitzen.»
Bereitschaft, sich zu ändern
Die Studie hat auch gezeigt, dass Ehepartner, die gemeinsamen Erinnerungen rein gar nichts Positives abgewinnen konnten, auf
das Scheitern ihrer Ehe zusteuerten. Aber selbst derartige Fälle müssen nicht zwangsläufig in einer Katastrophe enden, weiss
der Psychologe aus Seattle und macht den Betroffenen Hoffnung: «Manche Menschen wissen eben nicht, wie man eine
emotionale Beziehung zum Partner aufbaut oder wie man Dinge mit Humor nimmt. Wichtig ist in so einem Fall die
Bereitschaft, sich zu ändern und aufeinander zuzugehen. Ein professioneller Eheberater kann dabei eine gute Hilfe sein.»
Es gibt eine Reihe von Anhaltspunkten, an denen sich erkennen lässt, ob die Ehe zum Scheitern verurteilt ist, sagt Gottman, der
die vier wichtigsten die «apokalyptischen Reiter» nennt. Dieses sind dem Experten nach die Folgenden. Erstens:
Schuldzuweisungen, mit der Absicht, sich selbst ins Recht und den Partner ins Unrecht zu setzen. Generalisierungen sind dabei
an der Tagesordnung, frei nach dem Motto «immer machst du dies und jenes» oder «niemals ...».
Schweigen schafft Distanz
Zweitens: das Blossstellen und Herabwürdigen des Partners, indem man ihn beschimpft, mit Sarkasmus überzieht oder mit
entsprechender negativer Mimik und Gestik seine Verachtung ausdrückt. Drittens: sich selbst als Opfer darstellen, indem man
herumjammert, dem anderen die Worte im Mund umdreht und sich selbst in den Vordergrund drängt, ohne auf die Belange des
anderen einzugehen. Viertens: eine Mauer um sich herum errichten, indem man sich emotional zurückzieht, schweigt und
Distanz zum Partner aufbaut.
Andererseits profitiert die Beziehung gemäss dem Psychologen davon, wenn man seinem Partner gegenüber aufgeschlossen ist,
auf ihn eingeht und sich für seine Belange ernsthaft interessiert. Respekt und sachliche Argumentation tun das Übrige. Vor
allem aber sollte man auch ruhig öfter einmal herzhaft zusammen lachen.
Paar-Interaktionen in Zahlen
DIE FORMEL Und hier ist sie, die komplexe Eheformel von James Murray und John
Gottman.
Die Formel für die Frau:
Wt+1 = IHW(Hr)+r1Wt+a
Die Formel für den Mann:
Hr+1 = IWH(Wt)+r2Ht+b
Wie man sofort sieht, ist die Sache keineswegs simpel. Ein Laie kann nicht schnell ein
paar Daten eintragen und so errechnen, wie lange seine Beziehung halten wird. Für
jeden einzelnen “Kommunikationsakt” zwischen den Partnern haben Experten Daten
erhoben und diese in die wissenschaftliche Formel für den Mann beziehungsweise die
Frau eingetragen, je nachdem, wer gerade redete beziehungsweise agierte. Das sich
daraus ergebende Datenmaterial konnte dann verglichen werden. So wurden etwas die
Daten für Mann und Frau separat in ein Koordinatensystem eingetragen, um zu
veranschaulichen, wie sich die Kurven zueinander verhalten und welche Besonderheiten
sie aufweisen. Das braucht aber die Inetrpretationsarbeit von Fachleuten!
Die Punktewertung
Humor +4
Zustimmung +4
Freude +4
Zuwendung +4
Zuneigung +4
Interesse +2
Verachtung -4
Gleichgültigkeit -4
Empörung -3
Ekel, Abscheu -3
Angreifen -2
Defensiv werden -2
Einmauern -2
Wut, Zorn -1
Dominanz -1
Traurigkeit -1
Herumjammern -1