Berufseinstieg
Jeder fünfte Jugendliche erleidet in der Schweiz eine psychische Krankheit. Und fast die Hälfte aller psychisch Erkrankten in der
Schweiz ist zwischen 18 und 35 Jahren alt. Ein Alter in dem Jugendliche eine Lehrstelle beginnen oder junge Erwachsene in den
Berufsalltag einsteigen.
Auch Studienabgänger, die zum ersten Mal eine feste Arbeit antreten gehören dazu. Eine neue Kampagne des Kantons Zug
widmet sich seit heute den psychischen Belastungen bei Berufseinsteigern. «Psyche Krank? Kein Tabu» heisst die Kampagne, die
so viele Jugendliche wie möglich erreichen soll. Einer der Redner an der Medienkonferenz zum Kampagnenstart ist der
Psychotherapeut André Dietziker. SRF-Redaktor Igor Basic hat mit ihm gesprochen.
SRF: André Dietziker, sie therapieren viele junge Berufseinsteiger in Ihrer Praxis. Was erzählen Ihnen diese jungen Menschen?
André Dietziker: Die kommen mit sehr vielfältigen, typisch jugendlichen Themen zu mir. Die Berufseinsteiger haben ja ein Leben
neben der Berufssituation, und die Themen sind oft Belastungen, die das ganze Leben betreffen. Zum Beispiel Probleme mit den
Eltern, mit der Freizeit, im Freundeskreis, Peer-Gruppendruck etc. Sie stellen sich Fragen wie «Bin ich ein interessanter
Mensch?» oder «Will man gerne mit mir sein?»
Das sind natürlich Themensituationen, die jeden Jugendlichen in diesem Alter belasten. Und wenn dann die Situation am
Arbeitsplatz hinzukommt, in der man sich zurückgesetzt, überfodert oder benachteiligt fühlt, ergibt sich daraus eine
Gesamtbelastungssituation, die ganz vielfältig begründet sein kann.
Was können denn die Arbeitgeber tun, um eine allfällige Überbelastung oder Erschöpfung bei den Jugendlichen oder jungen
Erwachsenen früh genug zu erkennen?
« Arbeitgeber müssen ein Bewusstsein dafür haben, dass es hinter der Fassade des
Anstandes auch ein Leiden geben könnte. »
Das ist tatsächlich gar nicht so einfach zu erkennen, weil das Lebensalter der Pubertät, der Adoleszenz, ein sehr zwiespältiges ist.
Die Erwachsenen werden diesen Jugendlichen oft etwas suspekt. Deshalb verdecken sie sehr viel Leiden, sprechen nicht darüber,
wollen nicht, dass man etwas sieht, lachen, obwohl es ihnen zum Weinen ist.
In erster Linie muss der Arbeitgeber überhaupt ein Bewusstsein dafür haben, dass es hinter
der Fassade des Anstandes auch ein Leiden geben könnte. Entscheidend ist deshalb,
regelmässig das Gespräch zu suchen – und zwar über das Arbeiten, das tägliche Arbeitsfeld
hinaus. Das können Fragen sein wie : «Wie gefällt's Dir hier?», «Wie fühlst Du Dich?», «Kann
ich irgend etwas für Dich tun, damit Du dich wohler fühlst?»
Gibt es Früherkennungsmerkmale anhand derer die Arbeitgeber das erkennen können?
Typische Zeichen sind sozialer Rückzug, Verstummen, eigenartige Müdigkeit und
Konzentrationsmängel sowie Explosivität, Aggressivität und verminderte Belastbarkeit.
Was raten Sie jungen Berufseinsteigern, die mit ihrer Situation zu Hause und im Beruf
überfordert sind?
Ich rate ihnen, sich Menschen zu suchen, zu denen sie Vertrauen haben, mit denen sie auch
über das reden können, was eben nicht so gut läuft. Das kann jemand im Kollegenumfeld sein,
vielleicht auch ein Lehrmeister, ein Coach an der Schule oder ein Trainer im Sport. Man sollte
sich ohnehin vertrauenswürdige Bezugspersonen mit etwas Vorsprung in der Lebenserfahrung
aufbauen.
Jeder fünfte Jugendliche erleidet in der Schweiz eine psychische Krankheit. Die 18- bis 35-Jährigen sind die
grösste Gruppe der psychisch Erkrankten. Darum stehen Jugend und Berufseinstieg im Fokus des dritten
Kampagnenjahres von «Psyche krank? Kein Tabu!».
Was Berufseinsteigern zu schaffen macht
Fokus Berufseinstieg
Im dritten Jahr stehen die Jugend und der Berufseinstieg im Fokus der Präventions-Kampagne «Psyche krank? Kein Tabu!».
Auf der Website der Kampagne finden sich praxisbezogene Hilfestellungen für Arbeitgeber, Bildungsinstitute sowie Jugendliche
und Berufseinsteiger in Unternehmen verschiedener Grösse.
Online-Beitrag von Igor Basic auf der Webseite von SRF2 vom Donnerstag den 21. Januar 2016
Lic.phil. André Dietziker
ist Psychotherapeut FSP
und eidgenössisch aner-
kannter Psychotherapeut
mit Praxis in Cham