Focusing
Focusing wurde von einem Schüler Carl Rogers', dem amerikanischen Philoso-
phen Gene Gendlin, entwickelt. Es handelt sich um die Erweiterung des Person-
zentrierten Ansatzes (PCA) um die Dimension des Körpers.
Focusing heisst, seinem Körper auf behutsame, respektvolle Weise zuzuhören
und die Botschaften anzunehmen, die das Innere einem sendet. Es ist ein Pro-
zess, bei dem der Mensch mit seiner inneren Weisheit in Berührung kommt und
sich der unterschwelligen Wissensebene bewusst wird, die sich durch den eige-
nen Körper offenbart. Focusing ist nicht in erster Linie eine therapeutische Tech-
nik. Es kann auch gut alleine ausgeführt werden.
Focusing ist ein körperzentrierter Prozess des Selbstwahrnehmens. Man kann
jederzeit und in jeder Körperhaltung focusieren. Am einfachsten ist Focusing aber
im Sitzen oder Liegen. Wenn ich jemanden beim Focusing anleite und begleite,
beginnt dies gewöhnlich mit einem bewussten Ankommen im Körper.
Anschliessend folgt eine Phase, in welcher gleichsam innerlich Raum
geschaffen wird. Die focusierende Person gewinnt dadurch Abstand zu den
alltäglichen Dingen, Gedanken und Belastungen. Diese beiden Teile für sich
können schon sehr hilfreich und entspannend sein. Der Mensch kann so im
Körper einen guten Ort finden, an dem es sich besonders wohl anfühlt.
Manchmal entsteht nun ein Prozess aus dem Körperempfinden heraus, manch-
mal wählt man bewusst einen Inhalt, auf den man sich beziehen möchte. In der
Körper-Resonanz entstehen gefühlte Bedeutungen, welche befragt und durch
Symbole (Körperempfindungen, Worte, Gefühle, Bilder usw.) beschrieben wer-
den. Es ist eine Bewegung vom Diffusen zum Klaren. Dabei befinden sich sowohl
die focusierende Person als auch ich als Begleiter in einer Haltung der Absichts-
losigkeit. Wir sind gleichsam aufmerksame Beobachter dessen, was sich aus
dem Organismus heraus offenbart. Wir begegnen dem inneren Prozess mit
Geduld und wacher Achtsamkeit, ohne Anspruch und Erwartung. Es gibt kein
richtig oder falsch, keinen Leistungsdruck. Man kann nichts erzwingen, sich nur
beschenken lassen.
Oft entstehen aber tatsächlich Antworten aus dem inneren Erleben des Körpers
heraus. Diese sind, wenn sie ganz genau treffen, begleitet von einer körperlichen
Entspannung. Die gefühlten Erkenntnisse gilt es abschliessend anzunehmen und
zu schützen, damit sie den Prozess der Selbstentfaltung nähren.
Meine Aufgabe ist es, eine aufmerksame, schützende und umsorgende Atmos-
phäre herzustellen und den gesamten Menschen in seiner Verletzlichkeit wahrzu-
nehmen. Während des Focusing-Prozesses folge ich konzentriert dem Erleben
des Menschen und unterstütze seine innere Reise.
Gene Gendlin hat wissenschaftlich
untersucht, welches in unterschied-
lichen Therapierichtungen die wirk-
ungsvollen Faktoren sind. In Abgren-
zung und Ergänzung zu Carl Rogers
hat Gendlin herausgefunden, dass es
nicht immer ausreichend ist, die pass-
enden Bedingungen bereitzustellen,
damit persönliche Veränderung ge-
schehen kann. Für Gene Gendlin ist
ein zentraler Faktor für Persönlichkeits-
veränderung die Art und Weise, wie die
Person "innerlich mit sich umgeht".
Diese Art des inneren Umgangs hat er
mit dem Begriff "Experiencing" be-
zeichnet.
Beim Experiencing handelt es sich um
ein körperlich spürbares, vieldimensio-
nales Erleben, aus dem persönliche
Bedeutungen hervorgebracht werden
können. Das einzelne Element dieses
Erlebens, auf das man sich im jeweili-
gen Moment bezieht, wird "felt sense"
genannt. Dabei geht es nicht um ge-
wohnheitsmässige Erlebensmuster,
sondern um spontan hervortretendes
Erleben. Nach Gendlin verbergen sich
in diesem spontanen authentischen
Fühlen implizit die nächsten Entwickl-
ungsschritte.
Gelingt das Zusammenfügen der ge-
fühlten persönlichen Bedeutung mit
passenden Symbolen wie Bildern,
Sprache oder Handlungen, signalisiert
der Körper dies mit einer spürbaren
Entspannung, dem sogenannten "felt
shift".
In seiner Experiencing-Theorie hat
Gendlin dargestellt, dass unter allen
psychologischen Konstrukten eines
Menschen ein "Fluss des Fühlens
und Erlebens" fliesst. Immer dann,
wenn es gelingt, für Momente mit
diesem Fluss in Berührung zu kom-
men, bewegt sich der Prozess der
Selbstentfaltung weiter. Hierfür hat
Gene Gendlin die Methode des Focu-
sing entwickelt. Dies ist eine Technik,
welche die direkte Bezugnahme auf
den inneren Erlebensfluss herstellt.
Gene Gendlin verstarb am 1. Mai 2017
im Alter von 91 Jahren.
In der Schweiz bildet das Focusing Forum Zürich die offizielle Schnittstelle zum
internationalen Focusing-Netzwerk. Eine benachbarte Einrichtung ist das GFK-
Institut (Gesprächspsychotherapie, Focusing und Körperpsychotherapie) in
Zürich. Im deutschsprachigen Raum sind das Deutsche Ausbildungsinstitut für
Focusing in Würzburg (DAF), das Focusing-Zentrum Karlsruhe (FZK) und das
Deutsche Focusing-Netzwerk die wichtigsten Institutionen.
Gene Gendlin betreibt in New York ein eigenes Institut.