Pubertätsdilemma
Donnerstag, 31. Oktober 2019
SCHWYZER WOCHEN-ZEITUNG
Ich bin nicht launisch - ich bin emotionsflexibel
Das Dilemma, erwachsen werden zu müssen - Vortrag des Elternforums Weggis
Patricia Zimmermann
Bereits zum zweiten Mal folgte der Fachpsychologe für Psychotherapie, André Dietziker, der Einladung des Elternforums der
Schule Weggis, um am Mittwochabend vergangener Woche in der Aula des Schulhauses Dörfli in einem sehr interessanten
Vortrag wertvolle Inputs zu vermitteln. Dieses Mal erhielten die Besucher Informationen und Tipps im Umgang mit
pubertierenden Teenagern.
Wer bin ich und wo will ich hin?
Wie können die Jugendlichen auf der Suche nach sich selbst unterstützt werden? Wie
reagiere ich, wenn die Gefühle meines Kindes Achterbahn fahren? Die Reaktion von
uns Erziehungsverpflichteten ist oftmals ausschlaggebend, ob eine Situation eskaliert
oder ruhig seinen Weg nimmt. André Dietziker ist überzeugt, dass Humor und
Gelassenheit zu den wichtigsten Bausteinen in der Erziehung und im Umgang mit
Jugendlichen gehören.
Um das Verhalten zu verstehen, gilt es zuerst einmal die Entwicklungsaufgaben des
Körpers in dieser Zeit zu erfahren. Dazu gehören unter anderem das Suchen der
Grenzen und die Findung der Selbstwerte. Der Referent erklärt uns, dass es besser ist
von der Adoleszenz zu sprechen, als von der Pubertät. Denn der Begriff Pubertät
bezeichnet einzig die körperliche Entwicklung. Die Adoleszenz hingegen beschreibt
die körperliche und psychische Entwicklung zwischen der späten Kindheit und dem
Erwachsenenalter. Mithilfe von Video-Beispielen, informativen Folien und
Erfahrungsberichten aus seinem beruflichen Alltag erklärte André Dietziker auf eine
humorvolle und kompetente Weise, wie die Jugendlichen denken, welche Sprache sie
führen und dass sie die Grenzen von Natur aus suchen müssen. So setzen die Jugend-
lichen heute die Schwerpunkte in ihrem Leben ganz anders. Während früher der Alltag
vorwiegend aus Arbeit bestand, möchten die Jugendlichen ihr Berufsleben mit Frei-
räumen, Weiterbildung und Selbstverwirklichung gestalten. «Die Freude ist heute
wichtiger als der Status und das Prestige», ist André Dietziker überzeugt. Ein wich-
tiger Entwicklungsprozess in der Adoleszenz-Zeit ist die Suche nach Vorbildern,
Sinn und Werten. Die digitale Welt mit ihren Influencern beeinflusst die Haltung und
Interessen der Jugendlichen stark. Es ist wichtig, ihnen reale Vorbilder zu zeigen und
zu akzeptieren, dass sie niemals so werden wollen wie ihre Eltern.
Halt mich fest und lass mich los!
Die Jugendlichen fallen in eine Bindungskrise – einerseits wollen oder müssen sie sich von dem gewohnten Lebensstil lösen,
andererseits möchten sie diesen Schritt gar nicht tun. Im Minutentakt kann sich die Laune von Gereiztheit und Aggression in
Glück und Liebenswürdigkeit verwandeln – die Gefühle fahren Achterbahn. Von allen Seiten wirkt Druck auf die Jugendlichen:
Schule, Kollegen, Erwartungen, Leistung etc. In dieser Zeit wird die Familie zum Versuchslabor. Die Jugendlichen wollen zu
Hause einen sicheren emotionalen Hafen vorfinden. Durch verschiedene Umstände kann die Familie jedoch selbst zum
Ursprung von Stress und psychischer Belastung werden.
Halt mich fest, wenn ich es brauche, aber mach keine grosse Sache daraus
Mit diversen Tipps zeigt uns André Dietziker zum Schluss auf, wie wir Eltern unseren Kindern in der Zeit der Adoleszenz zur
Seite stehen können. Er ist der Meinung, dass die Kinder und Jugendlichen bei den Hausaufgaben unterstützt werden sollen.
Diese Hilfe muss aber in jedem Fall stressfrei, zuversichtlich und empathisch sein. Eine Versagensangst der Eltern würde Stress
und Denkblockaden übermitteln. Etwas vom Wichtigsten ist, dass die Eltern den Kontakt zu ihren Kindern nicht verlieren. Sie
brauchen die Gewissheit, dass ihre Eltern sie «ok» finden so wie sie sind. Davon ist auch Jesper Juul, dänischer Familien-
therapeut und Autor, überzeugt. Wenn die Kinder nach Hause kommen, ist es wichtig, zuerst mal den Gefühlszustand abzu-
schätzen. Bedrückt sie etwas? Ist etwas vorgefallen? Anschliessend muss der richtige Moment abgewartet werden, um nachzu-
fragen und zuzuhören. Die besten Gespräche entstehen nebenbei und scheinbar zufällig. «Es geht nicht mehr um Erziehung,
sondern um Verhandlung und verbindliche Abmachungen zwischen gleichwertigen Gesprächspartnern», informierte der
Referent weiter. Jugendliche brauchen Raum für Eigenständigkeit aber trotzdem die Unterstützung und Anteilnahme der Eltern.
Dennoch sei ein autoritativer Beziehungsstil wichtig. «Ihr solltet Eltern bleiben und nicht Kollegen werden. Klarheit und
Regeln, gepaart mit Kooperation, Wertschätzung und Ermutigung geben dem jungen Menschen den besten Halt».
Humor als Brückenbauer
Mit dem Vermitteln von Sicherheit geben wir den Jugendlichen eine gute Orientierung und sicheren Halt. Aber nur, wenn wir
gelassen und ruhig auftreten. Die Vorbildfunktion der Eltern ist wichtig. «Die Glaubwürdigkeit hängt an Taten und nicht an
Worten», erinnert André Dietziker. Auch Eltern dürfen Fehler machen und sich dafür entschuldigen. Wichtiger als ständiges
Nörgeln ist das Aufbringen von Verständnis. Als Eltern muss die Frustration des Jugendlichen nach einem «Nein» mit
Gelassenheit ausgehalten werden können. Der Widerstand gehört zum Entwicklungsprogramm und darf nicht persönlich
genommen werden. Und das Ganze mit einer Prise Humor gewürzt führt zum richtigen Weg, denn die Jugend ist stärker als wir
denken.
In seinem Vortrag begeistert André
Dietziker die 50 anwesenden
BesucherInnen mit wertvollen Tipps
im Umgang mit Jugendlichen in der
Adoleszenz