Zeitumstellung
19. März 2018
Zeitumstellung: Wenn dem Schlaf eine Stunde geraubt wird
Interview von Regina Röttgen mit dem Psychotherapeuten André Dietziker
Am 25. März 2018 ist es wieder soweit: Die Uhr wird um 2:00 Uhr eine Stunde vorgestellt. Es ist
Sommerzeit. Viele Kinder bringt dies aus dem Rhythmus. Eltern können ihrem Kind die Zeitumstellung
aber erleichtern.
In der Nacht auf Sonntag ist es anstatt zwei Uhr nachts plötzlich drei Uhr. Die fehlende Stunde bleibt häufig nicht ohne
Konsequenzen. Das Kind möchte seine gewohnte Stundenzahl schlafen und steht am Morgen -laut Uhr- eine Stunde später
auf. Am Abend ist es dann zur üblichen Schlafenszeit nicht müde. Geht es später ins Bett, wird es am Morgen nicht
ausgeschlafen sein. Wie bei einem kleinen Jetlag nach einem Flug gen Osten kämpfen viele Kinder mit den Auswirkungen der
Zeitumstellung im Frühling.
«Alle Menschen unterliegen grundsätzlich den gleichen Taktgebern, die den Tagesrhythmus steuern», sagt André Dietziker,
Fachpsychologe für Psychotherapie FSP, Leiter des Instituts für Chronobiologie in Hünenberg See. «Kommt einer davon
durcheinander, fällt es oft schwer den Trott wiederzufinden.» Äusserer Faktor sei zwar das Sonnenlicht, nachdem wir unseren
Schlaf- und Wachrhythmus ganz natürlich ausrichten. «Weitaus mehr fällt die erzwungene frühere Aufwachzeit ins Gewicht»,
meint Dietziker.
Die Zeitumstellung stört den kindlichen Rhythmus
Es sind unsere biologische und soziale Uhr, die durch die erzwungene Rhythmusverschiebung aus dem Takt gebracht werden.
Die biologische Uhr, eine Art «Masterclock» wie Dietziker sie nennt, steuert Stoffwechsel, Organe und die Aktivität einzelner
Zellen in einem bestimmten Rhythmus. «Melatonin steuert unseren Schlaf, Atemfrequenz und Körpertemperatur sinken nachts
ab und Cortisol leitet das Aufwachen ein», nennt Dietziker ein paar Beispiele.
Reissen wir unser Kind zu einer ungewohnten Zeit aus dem Schlaf, kann sein Körper durcheinanderkommen. «Der
Stoffwechsel steckt dann möglicherweise noch in seinen Regenerationsaktivitäten. Folglich ist weder das Wachbewusstsein
noch der Körper zur Tagesaktivität bereit», erklärt Dietziker weshalb Kinder dann schwer wach zu bekommen sind und sich
nach dem Aufstehen noch müde fühlen.
Ein weiterer Taktgeber ist die sogenannte soziale Uhr. «Darunter versteht man täglich wiederkehrende Abläufe und Rituale», so
Dietziker. Aufstehen, Frühstücken, Schulweg, Schule, Freizeitaktivitäten und Schlafenszeiten fallen zum Beispiel darunter.
«Kinder sind in hohem Masse auf solch gleichbleibende äussere Abläufe angewiesen, denn sie vermitteln ihnen Sicherheit und
Geborgenheit und fördern ein grundsätzliches Vertrauen in die Umwelt und sich selbst.» Ändert man diese abrupt, kann es beim
Kind zum Stresszustand kommen.
Mit gutem Beispiel voran in die Umstellung
Manche Kinder leiden stark unter dem Stresszustand, der bei der Zeitumstellung entsteht. Schlafstörungen, Müdigkeit und
Verstimmung können noch lange anhalten. «Vielleicht sind Kinder besonders verwirrt durch die Umstellung, weil sie nicht
nachvollziehen können, was da genau passiert.» Anderseits sind sie gegenüber älteren Menschen klar im Vorteil. Der junge
Organismus adaptiere sich laut Dietziker meist schneller an die neue Situation.
Jugendliche hingegen trifft die Zeitumstellung im Frühling besonders schwer. «Jugendliche in der Pubertät sind für einige
Jahre alle Eulen. Sie sind abends besonders aktiv und kommen am Morgen nicht aus den Federn.» Bis auf die Zeit der Pubertät,
in der alle inneren Uhren konform laufen, ist es ganz individuell, welcher Chronotyp ein Kind oder Erwachsener ist.
Sogenannte Eulen sind Abendmenschen, die erst zu später Stunde zu Hochform auflaufen und spät zu Bett gehen, dafür aber
auch spät aufstehen. Lerchen hingegen gehen abends früher zu Bett und sind morgens zu früher Stunde bereits putzmunter.
«Sind ihre Kinder eher Frühaufsteher, macht ihnen die verlorene Stunde weniger aus, da sie morgens sowieso schon schneller
auf Betriebstemperatur sind», kann Dietziker Eltern von Lerchen beruhigen.
Euleneltern rät der Experte vor allem zur Ruhe und zu Verständnis. «Auf den mangelnden Antrieb und die Unlust mit Stress
und Hetze zu reagieren, bringt nur eine destruktive Dynamik in den Familienmorgen, der in der Regel nicht beschleunigt,
sondern blockiert.»
Die angeborene, typologische (Un-)Empfindlichkeit ist letztlich nicht zu ändern. Faktisch jedoch spielt es eine grosse Rolle,
wie leicht oder schwer Eltern selber mit der Zeitumstellung umgehen. Das Rollenmodell greift hier: «Das Wohlbefinden
und die Gelassenheit der Eltern, die ja ebenso aus dem Rhythmus geraten, ist entscheidend für das Stressniveau und die
Befindlichkeit der Kinder.»
Mithilfe gezielter Massnahmen können Eltern die negativen Auswirkungen abschwächen. Dietziker empfiehlt zum Beispiel, die
Zeitumstellung auf einige Tage zu verteilen. «Eltern können ihre Kinder viertelstundenweise früher aufstehen lassen.» Die
Schlafenszeit würde dann demgemäss angepasst. Entsprechende Lampen könnten ebenfalls Abhilfe schaffen. «Helles weisses
Licht verhilft zu grösserer Wachheit und Energie.» Oder man versucht es mal ganz unkonventionell: «Warum nicht die
Zeitumstellung zum Thema machen und ein besonderes Sommerzeitfrühstück kreieren?» Darauf kann sich dann die ganze
Familie freuen.
¨Tipps zur Zeitumstellung mit Kindern
Seien Sie positiv und nehmen Sie die plötzliche Zeitumstellung als Anlass für eine kleine
Philosophiestunde: Wie springt die Uhr? Warum ist es jetzt genau 3 Uhr? Ist jetzt überall auf der Welt
gleich früh?
arbeiten Sie sich langsam an den Zeitsprung heran. Sommerzeit: Bringen Sie Ihre Kinder jeden Abend
bis zur Umstellung 10 bis 15 Minuten früher ins Bett, so dass sie die fehlende Stunde besser auffangen
können und morgens früher wach sind. Im Herbst dann umgekehrt für die Winterzeit: Jeden Abend ein
Viertelstündchen später Bettruhe. Passen Sie die Essenszeiten und einen möglichen Mittagsschlaf dem
angepassten Rhythmus an.
Gönnen Sie sich viel frische Luft und schönes Licht.